Stellungnahme des migrationsrat Berlin zur kleinen Anfrage der CDU im Bundestag

Mit großer Besorgnis nehmen wir die jüngeren und aktuellen politischen Ereignisse im Bund und in unserer Stadt wahr. Uns beunruhigt der Aufbau sowie Art und Weise der Kleinen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag und der Zusammenhang dieser Anfrage mit den Ereignissen rund um die Bundestagswahl 2025.

Kurz vor den Wahlen versuchte die CDU, ihre Politik zur weiteren Verschärfung der Migrationspolitik in einem Schulterschluss mit der rechtspopulistischen und in Teilen rechtsextremen AfD zu realisieren. Der Kanzlerkandidat der Union sprach sich unnachgiebig für eine Verschärfung der Migrationspolitik aus, forderte schnellere „Rückführungen“ und nahm billigend die Stimmen der AFD in Kauf. Die CDU lässt durchblicken, wie sie auch ohne Regierungskoalition mit der AfD-Politik machen wird. Merz erklärte hierzu: „Was in der Sache richtig ist, wird nicht falsch, wenn die Falschen zustimmen.“

Wir sagen dazu: Was in der Sache richtig ist, wird nicht falsch, nur, weil wir aus ideologischen Gründen aus Förderungen gestrichen werden sollen. Es wird versucht, uns zum Schweigen zu bringen, Demonstrationen zu verbieten, autoritäre Law und Order-Politik durchzusetzen und das Neutralitätsgebot zu instrumentalisieren.

Die aktuelle Anfrage ist auch ein Einschüchterungsversuch: Diese Methodik kennen wir bereits von der AfD und ihren Denkfabriken, die wichtige demokratische Möglichkeiten für ihre Zwecke nutzen und ihre entsprechende Strategie auch aufgeschrieben und offen geäußert haben.

Akteur*innen der politischen Bildung, des kritischen Journalismus, der sozialen und Communitysarbeit stehen im Kontext der gesellschaftlichen Veränderungen vor erheblichen Herausforderungen, da rassistische und rechtsextreme Positionen im öffentlichen und politischen Raum deutlich zugenommen haben.

Diese Positionen zu benennen und einzuordnen, widerspricht nicht dem Ansatz von Neutralität – ganz im Gegenteil: Es ist ein Grundrecht, sich in die politische Debatte einzubringen und es ist unsere Pflicht als zivilgesellschaftliche Akteure, Fehlentwicklungen zu benennen, die Menschenwürde zu verteidigen und in den politischen Diskurs Gerechtigkeit und Gleichberechtigung einzubringen.

Das Neutralitätsgebot dient dazu, die parteipolitische Neutralität der Verwaltung und öffentlicher Institutionen zu gewährleisten, aber es hindert nicht die freie Meinungsäußerung und die kritische Auseinandersetzung mit politischen Prozessen. Auch der Staat darf gegenüber Grund-und Menschenrechten nicht neutral sein. Er und seine Beamt*innen, die Angestellten des öffentlichen Dienstes und die Empfänger*innen staatlicher Zahlungen werden sogar angehalten, für unsere Verfassungswerte einzutreten.

Wer die Rechte von marginalisierten Gruppen schützt und sich gegen Diskriminierung, Queerfeindlichkeit und Rassismus stellt, handelt im Einklang mit den Grundwerten unserer Demokratie. Kritik an Inhalten oder Strategie einer politischen Partei oder einem politischen Vorhaben ist keine Parteinahme im politischen Wettbewerb, sondern eine notwendige, verantwortungsvolle Auseinandersetzung mit politischen Entscheidungen, die die Zukunft und das gesellschaftliche Miteinander betreffen.

Das Neutralitätsgebot ist kein Werkzeug, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen, sondern ein Instrument, das vor allem den Staat und seine Institutionen davor bewahren soll, sich zugunsten einer politischen Partei zu positionieren. Wer die Demokratie stärken möchte, darf nicht der Versuchung erliegen, auf Kritik zu verzichten, nur, weil sie von der politischen Mehrheit nicht gewünscht wird.

In Berlin können wir vorausahnen, was uns auf Bundesebene unter einer Koalition der CDU und SPD erwartet. Taten sagen mehr als Worte: Auch die Ablehnung von Merz’ Wahlkampfkurs durch unseren Bürgermeister Herr Wegner erscheint aufgrund der Politik der Berliner Regierung nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Besonders alarmierend finden wir beispielsweise die politisch-ideologische Agenda der CDU in Berlin, die sich aktuell auch über Streichungen und massive Kürzungen queerer, gegen Antisemitismus arbeitende, demokratiefördernde und antirassistische Projekte seitens der Senatsverwaltung für Bildung ausdrückt, aber dort nicht Halt macht.

Die CDU trifft in Teilen sicherlich auch auf Ansinnen innerhalb der SPD, mit denen wir bereits in vorausgehenden Koalitionen vertraut gemacht wurden. Dort wo die SPD noch andere Positionen als die CDU vertritt, ist sie nicht in der Lage der tiefgreifenden und rasanten Entwicklung überhaupt etwas entgegenzusetzen.

Die SPD darf nicht nur durch Empörungserklärungen und kleine Rettungsaktionen soziale Politik machen, die Kulturkampf und Kahlschlag nur zu verzögern und in die Länge zu ziehen, nicht aber aufzuhalten. Die SPD auf Bundesebene sollte unbedingt aus den Fehlern in Berlin lernen!

Die geschilderte Entwicklung ist besonders erschütternd, da sie auf eine Regierungskoalition hinweist, die offenbar den Dialog mit einer pluralen Gesellschaft vermeidet und sich weder den Fragen stellt, die für Berlin und alle hier Lebenden tatsächlich das Beste sein könnten noch hinsichtlich der Gesellschaft von den zivilgesellschaftlichen Akteuren aufgebracht werden.

Als Dachverband stellen wir klar: Die Aufgabe der Zivilgesellschaft und sozialer Projekte ist es, auf Missstände hinzuweisen, kritische Fragen zu stellen und gesellschaftliche Entwicklungen einzuordnen. Es ist daher nicht nur unser Recht, sondern auch unsere Pflicht, Fehler und Fehlentwicklungen öffentlich zu kritisieren.

Kritik an einer Partei ist keine parteipolitische Agitation. Sie ist eine demokratische Notwendigkeit, die sich gegen Diskriminierung und für eine gerechte Gesellschaft richtet. Wenn wir uns gegen die politisch gefährlichen Agenden von CDU und anderen Parteien stellen, tun wir dies nicht aus parteipolitischen Motiven, sondern weil es unsere Verantwortung ist, uns für die Werte von Gleichwertigkeit, Gleichberechtigung und Solidarität einzusetzen.

In diesem Zusammenhang möchten wir betonen, dass wir uns solidarisch an die Seite derjenigen Organisationen stellen, die sich ebenfalls gegen die Angriffe der CDU auf die Werte einer offenen, inklusiven und gerechten Gesellschaft stellen. Wir schließen uns ausdrücklich den Forderungen aller in Berlin gestrichenen und gekürzte Projekten und bundesweit den nun mit der kleinen Anfrage an den Pranger gestellten Organisationen wie Correktiv gGmbH, der Omas gegen Rechts und vieler anderer zivilgesellschaftlicher Initiativen an, die sich unermüdlich für den Schutz von Demokratie, die Entlarvung rechtextremer Strukturen, für Menschenrechte und die Rechte marginalisierter Communtys einsetzen.

Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir als Migrationsrat Berlin e.V. diesen kritischen Dialog fortsetzen werden. Denn nur durch konstruktive und klare Kritik an gefährlichen politischen Entwicklungen können wir als Gesellschaft die notwendige Veränderung bewirken. Wir werden uns weiterhin für eine Gesellschaft einsetzen, in der alle Menschen, unabhängig von insbesondere Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung gleiche Rechte und Chancen haben.

Kontakt für Rückfragen:

Edwin F. Greve, Referent für Antidiskriminierung

Mail: ed.greve [at] migrationsrat.de

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